Eine Frage zu Beginn und eine andere Theorie
Wären die beiden Beschläge des Verbundgriffs, also der obere mit dem Gewinde und der untere, der den Abschluss des Griffs bildete, genügend fest im Griffrohr verpresst geblieben, wären die Rohre ausreichend erhitzt und somit „weich“ gemacht worden?
Ich hänge auch gerne der Theorie nach, dass der Riss auch durch elektrochemische Korrosion entsteht. Der elektrolytische Lösungsdruck, wie die Spannungsrisskorrosion, ist beim Messing ebenfalls inhärent. Die Stärke des elektrolytischen Lösungsdrucks nimmt ab je edler ein Metall ist (vgl. Gold +1,69 Volt).
Die Metalle werden je nach ihrem Lösungsdruck in die elektromechanische Spannungsreihe eingeordnet.
So können wir erkennen, dass Kupfer, mit einer Spannung von ca. +0,35 Volt (elektrochemisch edel) und Zink mit einer Spannung von ca. -0,76 Volt (elektrochemisch unedel) miteinander zu Messing legiert, in sich einem hohen elektrolytischen Lösungsdruck unterworfen ist.
Die Rasur erfolgt grundsätzlich immer in Verbindung mit Wasser, wir schlagen Rasierschaum mit Wasser auf, wir spülen die Bartstoppeln und die Schaumreste aus dem Rasierer und wir reinigen den Rasierhobel nach dem Gebrauch und – wir bewahren ihn vielleicht im Badezimmer auf, es bleibt also nicht aus, dass Wasser (auch als Dampf) mit dem Griff in Berührung kommt. Dieses Wasser wirkt als Elektrolyt. Die elektrische Spannung, die nun entsteht, kann die Korrosion beim schwächeren Material einleiten und das unedlere Metall zerstören, Elektrochemische Korrosion entsteht.
Dennoch scheint erwiesen, dass es sich um Stress- oder Spannungsrisskorrosion handelt.
Etwas Geschichte
Der erste Weltkrieg war in vollem Gange, als Gillette von der U.S. Regierung den Auftrag erhielt, für das Militär 3,5 Millionen Rasierapparate zu liefern. Dieser Auftrag, so willkommen er gewesen sein musste, hat das Gillette-Werk mit seinen 5’000 Mitarbeitern sicher stark in Anspruch genommen.
Es war dann auch während dieser Zeit, als die Gillette-Benutzer durch zwei Dinge aufgeschreckt wurden. Erstens stellten sie fest, dass die Bearbeitung nicht mehr so sorgfältig schien und die Politur nicht mehr so strahlend ausfiel, wie das der Qualität von Gillette bisher entsprach.

Gillette Old Type aus einem Khaki Set, die Politur scheint tatsächlich nicht so brillant, wie an Hobeln früherer Fertigung.
Zum Zweiten häuften sich die Menge von Griffrohren, an denen die berüchtigte Stressrisskorrosion auftrat. Während einige Theorien aufstellten, wonach Gillette die Griffrohre billig oder dünner hergestellt hatte, meint Phillip L. Krumholz, dass die Qualität des Messing, das damals während des Krieges zur Verfügung stand, stark variierte, und dass das der Grund für die Häufung der „Stressrisse“ war.
Messungen, die Krumholz vorgenommen haben will, hätten gezeigt, dass die Griffrohre von Gillette nicht dünner gemacht worden waren. Vermutlich litt die Sorgfalt bei der Herstellung des Rohstoffs Messing auf Grund des hohen Bedarfs (Munitionshülsen waren aus Messing) für die Produktionsraten während dieser Zeit. Fakt ist, dass Gillette unter der Häufigkeit des Auftretens dieser Stressrisse zu leiden hatte.
Eine metallurgische Untersuchung wäre häufig erforderlich gewesen, um zu überprüfen, ob das Material in irgend einer Form behandelt werden muss, bevor es verwendet wird. Es wird vermutet, dass grosse Mengen von Tests durchgeführt wurden. Testwiederholungen waren aber in jedem Fall ein Luxus, den sich zu dieser Zeit nicht jedes Unternehmen leisten konnte.
Was wir jedoch wissen, ist, dass sich das Problem der der Stressrisskorrosion unterworfenen Griffrohre in verschiedenen Schweregraden während der gesamten Produktion der Rasierapparate des Old Types Modells fortsetzte, sogar in den 1920er Jahren, als die kriegsbedingte Verknappung von Rohstoffen kein Thema mehr war.
Krumholz denkt, dass einige Kunden, die einen neuen Gillette gekauft hatten und feststellten, dass der Griff gerissen war, diese Rasierer wieder zum Händler zurückbrachten. Es gibt Hinweise darauf, dass die Risse sich nicht aus dem Gebrauch des Rasierhobels heraus ergaben, sondern dass auch neue Rasierer bereits den Riss aufwiesen. Krumholz unterlegt das beweiskräftig, indem er anführt, dass sich heute in Sammlungen NOS Rasierer befinden, die den Stresskorrosionsriss bereits aufweisen. Phillip L. Krumholz schreibt weiter, er selber besitze einen solchen Rasierhobel in makellosem Zustand mit einem Riss, der sich längs über die gesamte Länge des Griffrohres erstrecke. Er stellt weiter die Theorie auf, dass die dafür zuständigen Gillette-Inspektoren zwar jedes Set vor dem Versand auf Mängel überprüften, es aber eine bestimmte Anzahl Rasierhobel gab, bei denen sich der Riss erst nach dem Versand, im Laufe der Zeit während der Lagerung beim Händler bildete.
Der User james7604 stellt im englischsprachigen Forum Badger&Blade einen Post ein, in dem er einen werksneuen, noch in Oelpapier eingeschlagenen und versiegelten Rasierer des Typs Old Type vorstellt.
Dieser weist ab Werk, einen Stresskorrosionsriss auf. Das ist m.E. ein sehr interessanter Artikel, die Bilder sind sehenswert.
Das Auftreten von Stressrisskorrosion, ist eine metallurgische Eigenheit von Messing, das dafür besonders anfällig ist. Die inhärenten Spannungen im Material liessen sich z.B. mittels Wärmebehandlung vor oder nach der Herstellung lösen.