Also; da hast du schon einige Rasiermesser auf tolle Schärfe gebracht und denkst, dass du den Bogen raus hast – endlich.
Dann kommt so ein Rasiermesser um die Ecke, das treibt dir die Tränen in die Augen, den Schweiss auf die Stirne und lässt dich frustriert zurück.
Eines Tages zeigt mir ein Freund ein Rasiermesser, das er auf einem Flohmarkt erstanden hatte. Bereits die Kartonhülle verspricht einiges, wenngleich das Rasiermesser selber nicht von einer berühmten Schmiede ist und keinen Herstellerstempel trägt, ausser dass es in Deutschland gemacht wurde und die Nummer 505 am Erl eingestanzt ist.
Das Messer weist einen wunderschönen Hohlschliff auf und der Wall ist von blossem Auge sichtbar, bevor die Klinge in die Schneide übergeht. „Xtra Hollow Ground“ steht daher noch auf dem Erl.
Alles in allem ein schönes Messer. Ich bin so und sagte zu meinem Freund, dass ich es ihm gerne schärfen würde, damit er sich damit auch rasieren kann, wenn er denn dazu bereit sei.
Das Messer blieb also bei mir.
Ich schickte mich an, einen Schärfversuch zu starten.
Mein Setup ist bereits auf den vorhergehenden Seiten erklärt, daher nur rasch zur Wiederholung.
Beginnen tue ich mit dem 1’000er, danach 3k, 5k und 10k Naniwa Super Stones. Zuletzt ziehe ich sachte auf jeder Seite der Klinge dieselbe über meinen KÖB (Koraats Östereichischen Brocken), ein brasilianischer Schiefer, der ungefähr 8k hat, was soviel bedeutet wie die Körnung von 8’000.
Also ich habe begonnen und das Messer gewohnt durchgeschärft, so wie ich einige vorher auch schon zu absoluter Schärfe brachte.
Nachdem ich die Klinge auf dem Baumwollriemen abgezogen und auf dem Leder abgeledert hatte, flogen die Haare vom Unterarm, es ging also ans Rasieren. Autsch, gar nicht toll.
Das Messer kratzte über die Haut und liess viel von dem stehen, was es eigentlich nach seiner Bestimmung hätte abschneiden sollen. Ich musste den Versuch nach vier Durchgängen m+g+q+q abbrechen und mit einem sanften Rasierhobel den Rest ausputzen.
Ich nahm also die Lupe zur Hand und stellte fest, dass in 15facher Vergrösserung zuvorderst an der vorher makellosen Schneide sich Mikroverletzungen befanden. Der Schneidgrat sah aus als wäre er eine Säge.
Also ins Netz, lesen, dumme Fragen stellen, Antworten kriegen, Einblicke und die Einsicht gewinnen, dass ich wahrscheinlich einen Fehler gemacht hatte. Ich hatte nach allen Auswertungen von Tipps und Ratschlägen einen Schleifbart verschleppt, der sich dann negativ bemerkbar machte und sich natürlich vom Grat löste.
Also, neuer Versuch. Das Messer wurde, diesmal ohne den Rücken abzukleben, über die Steine geschoben. Das Resultat durfte sich kaum sehen lassen. Die Klinge schnitt nicht einmal Brot.
Also noch einmal. Dieses Mal wurde der Rücken mit einer Lage Tape abgeklebt.
Auf dem Tausender wurde auf der einen Seite geschärft, bis ein Bart deutlich spürbar war, ich musste, nachdem ich über einen weiten Teil der Klinge den Bart spürte noch ein paar Schübe nachlegen und die Klinge ungefähr einen Centimeter vor dem Kopf mit dem Finger auf den Stein drücken, da die Klinge dort einen leichten Verzug hat. Als der Bart auf der gesamten Länge der Klinge spürbar war, wendet ich das Messer und schärfte auf der anderen Seite. Der Bart wurde langsam abgetragen, was darauf hinweist, dass ich mich zur richtigen Zeit entschieden hatte, die Klinge zu wenden. Es kann nämlich geschehen, dass der gesamte Faden oder längere Teile davon weggeschliffen wird und er dann auf dem Stein liegt. Aber dazu ein anderes Mal.
Als auf auf der gegenüberliegenden Seite der Bart auch spürbar war, führte ich auf jeder Seite 20 Schübe im Wechsel aus. Auch dieses Mal kein Abreissen des Barts.
Als das Messer am Unterarm nach dieser Prozedur die Haare rasierte, entfernte ich den allenfalls übrig gebliebenen Bart mittesl leichtem Durchziehen des Grats durch Hartholz (man lernt nie aus).
Als das gemacht war, kontrollierte ich das Resultat durch die Lupe, kein Bart war mehr zu sehen, die Facette sauber gesetzt, wenngleich auf der einen Seite ein leichter Verzug wahrzunehmen war. Dort war die Facette ca. halb so breit wie sie sollte, wir sprechen hier von der Hälfte eines halben Milimeters, wenn überhaupt. Aber es war eine Facette da.
Also auf den nächst feineren Stein, den 3000er oder 3k. Dort führte ich je 20 Bogenschübe aus, bevor ich auf den nächsten Stein, den 5000er wechselte. Auf dem 3000er entstand noch dunkler Schliefabrieb. Auf dem 5k machte ich ebenfalls 20 Bogenschübe auf jeder Klingenseite. Es entstand kaum mehr ein dunkler Abrieb. Ich wechselte auf den 10’000er. Nicht aber, ohne zuvor mit der Lupe zu kontrollieren, wie sich die Arbeiten machen. Die Facette spiegelte nach jedem Stein ein wenig mehr, bis sie nach dem 10’000er wirklich spiegelblank war und weder Kratzer noch andere Unebenheiten aufwies.
So, als alle diese Arbeiten erledigt waren, kam der Schiefer an die Reihe. Dieser wurde nicht angerieben, sondern nur nass gemacht und auf der härteren, der wolkigen Seite, machte ich auf jeder Klingenseite wechselseitig 10 Schübe, ohne Druck. Das ergibt normalerweise einen zusätzlichen Zacken Schärfe, die sich aber sanfter anfühlt, als die Schärfe nach dem 10k Naniwa.
Jetzt flogen die Haare 5mm über der Haut vom Unterarm, dass es eine Freude war. Ich konnte spüren, wie sich der Grat in die Haar verhakte und sie abschnitt. Ich war guten Mutes, dass diese Klinge ein Ausbund an Schärfe sei.
Dann erfolgte die Rasur mit der herkömmlichen Standardvorbereitung. Es war ernüchternd!
Das Messer liess sich zwar gut an, aber der Bart war noch dran. Wo mit anderen Messern schon nach dem ersten Durchgang mit dem Bartstrich kaum mehr etwas da ist, das kratzt, schien es, als wäre noch gar nichts geschehen. Es war als hätte ich mich mit dem Gemüsemesser aus der Küche rasiert, das wahrscheinlich bessere Arbeit geleistet hätte. Ich nahm ein anderes Rasiermesser aus dem Fundus und rasierte zu Ende.
Also hochfrustriert und nicht wissend was ich genau falsch gemacht hatte, wusch und trocknete ich das Messer und legte es in seine Kartonhülle, wo es darauf wartet, bis ich wieder Lust verspüre, es zu schärfen. Das werde ich jedoch erst tun, wenn ich andere Messer geschärft und mein Selbstvertrauen zurück gewonnen habe.